Esther Kahn wurde 1926 in der ungarischen Stadt Sajovamos geboren. Sie war eines von sieben Kinder von Yona und Gizella Vays. Als sie drei Jahre alt war, zog ihre Familie nach Budapest. 

Esther, die für ihr Alter sehr klein war, erinnert sich, wie ihr Vater sie ihrer Tante durch das Zugfenster reichte, als der Zug am Bahnhof hielt. In Budapest eröffnete ihr Vater einen Gemüseladen. Obwohl das Geschäft nicht sehr einträglich war und die Familie nicht viel Geld hatte, erinnert Esther sich an ihr Leben in ihrer Kindheit als sehr schön.

Karte von Ungarn während des Zweiten Weltkriegs, mit den Grenzen von 1920 und 1941
Karte von Ungarn während des Zweiten Weltkriegs, mit den Grenzen von 1920 und 1941
Gemeinfrei

In Budapest besuchten Esther und ihr Bruder eine jüdische Schule. Da das Schulgeld an dieser Schule sehr hoch war, sah sich ihr Vater gezwungen, sie auf eine gemischte Schule zu schicken, in der Kinder verschiedener Religionen gemeinsam lernten. Am besten erinnert sich Esther an den Tora-Unterricht mit dem Rabbiner. Grundsätzlich war Esthers Elternhaus konservativ und klar jüdisch geprägt. Es ist Esther sehr wichtig zu erwähnen, wie sehr sie die Gebete in der Synagoge, den besonderen Chorgesang und die schönen Melodien genoss.

An den Nachmittagen nach der Schule nahm Esther an den Aktivitäten der Jugendbewegung „Maccabi HaTzair“ teil. So wurde sie mit dem Zionismus und seinen Werten vertraut gemacht, und dort, sagt Esther, entstand ihr erster Wunsch, nach Eretz Israel einzuwandern und dort zu leben.

1936 begann sich das Leben für Esther zu ändern, als die Regierung die ersten Gesetze zur Diskriminierung der Juden erließ. Zunächst waren es nicht so einschneidende Gesetze wie das Verbot für Juden, Radios zu besitzen und zu hören. Dann gab es Beschränkungen im Bildungswesen. Schließlich wurden Juden, darunter Esthers Vater, in Konzentrationslager verschleppt. In der Schule begannen die Lehrer, jüdische Schülerinnen und Schüler zu schikanieren. Esther erzählt, dass ihre Schwester einmal nicht rechtzeitig aufstand, als die christlichen Schüler sich erheben mussten, um die ungarische Nationalhymne zu singen. Sie wurde deshalb bestraft. Nun hörten auch einige christliche Kinder – aber nicht alle – auf, mit den jüdischen Kindern zu spielen.

Unten rechts, Esther Kahns Bruder Alexander, während des Krieges im Dienst der russischen Armee.
Unten rechts, Esther Kahns Bruder Alexander, während des Krieges im Dienst der russischen Armee.

Als sich die Lage zuspitzte und die Deutschen das Gebiet bereits unter Kontrolle hatten, erkannten die Verantwortlichen der jüdischen Gemeinde, in welche Richtung sich die Dinge entwickeln würden, und begannen, alle auf die „große Reise“ (in die Konzentrations- und Vernichtungslager) vorzubereiten. Esther erinnert sich an die Tasche, die sie für diese Reise packte. In der Tasche befanden sich Bilder ihrer Familie, teures Spielzeug und andere Sachen:  „Ich packte einige Bilder von mir und meiner Familie ein. Ich erinnere mich... Ich erkannte, dass nur die wichtigsten Sachen mitgenommen werden konnten, und das waren die Dinge, die mir wertvoll waren.“

Im Jahr 1943, als sich die Situation für die Juden in Ungarn weiter verschlechterte, bot sich Esther eine kleine Chance: Sie wurde zur Arbeit in einer lebenswichtigen Fabrik gebracht, was ihr rückblickend das Leben rettete. Die Fabrik wurde erst im Januar 1944 geschlossen, als die Deutschen die bevorstehende Niederlage kommen sahen. In dieser Zeit wurde Esther in das Konzentrationslager Ravensbruck verlegt, wo sie vier Monate lang blieb.

Während ihrer Gefangenschaft lernte sie an Weihnachten eine niederländische Christin kennen. Esther sah so abgemagert und hungrig aus, dass die Frau ihr einen Apfel reichte. Dieser Vorfall ist Esther noch gut in Erinnerung und weckt viele Emotionen in ihr: „Es ist wirklich schwer für mich, das in Worte zu fassen. Ich hätte nie gedacht, dass ich wegen eines Apfels so aufgeregt sein würde.“

Ein Porträt von Esther Kahns Eltern, gezeichnet von ihrer älteren Schwester in der Nachkriegszeit.
Ein Porträt von Esther Kahns Eltern, gezeichnet von ihrer älteren Schwester in der Nachkriegszeit.

Schließlich wurde sie in das Konzentrationslager Mauthausen verlegt, wo sie bis zum Kriegsende festgehalten wurde. Nach der Befreiung erfuhr Esther, dass nur die Hälfte ihrer Familie überlebt hatte. Da wurde Esther klar, dass der einzige Platz für sie das Land Israel war. Sie schloss sich der Kibbuz-Bewegung an und dort lernte sie ihren Mann kennen. Ihr erster Sohn wurde während ihrer Reise nach Israel geboren.

Esther Kahn mit ihrem kleinen Sohn Shimon während der Vorbereitungen für die Einwanderung nach Eretz Israel mit der Kibbuz-Bewegung, 1947.
Esther Kahn mit ihrem kleinen Sohn Shimon während der Vorbereitungen für die Einwanderung nach Eretz Israel mit der Kibbuz-Bewegung, 1947.
Esther Kahn mit ihrem kleinen Sohn Shimon in Italien, vor ihrer Ausreise nach Israel, 1949.
Esther Kahn mit ihrem kleinen Sohn Shimon in Italien, vor ihrer Ausreise nach Israel, 1949.

Nach einer langen Reise kamen Esther und ihre Familie 1950 in Israel an und ließen sich im Kibbuz Matzuva nieder, wo sie bis heute lebt. Als Esther gefragt wurde, was sie empfand, als sie in Eretz Israel ankam, war ihre Antwort einfach und klar: „Ich habe den Himmel erreicht, den Ort, von dem ich geträumt habe!“ 
Abschließend wollte Esther noch eine Botschaft an künftige Generationen übermitteln: „Das Land Israel ist unser Zuhause und es ist wichtig zu wissen, dass wir alle Geschwister sind. Wir müssen einander lieben und begreifen, dass sich niemand um uns kümmert außer wir selbst.“