Relli Robinson Sie erklärten mir, dass es eine Art Spiel sei, das wir miteinander spielten.
Relli wurde am 11. März 1939 in Warschau als einziges Kind von Franka geb. Presendikt und Michael (Michal) Glovinsky geboren. Der Name „Relli“ ist ungewöhnlich. Er leitet sich von dem Namen der Großmutter Rachel Luchi ab. Rellis Mutter nahm die Anfangsbuchstaben von „Rachel“ und „Luchi“, und ihr Vater fügte den Klang des hebräischen Buchstabens „Jod“ hinzu, der als Suffix „mein“ bedeutet. Relli kam aus einem gebildeten Elternhaus, in dem Polnisch, Russisch und Deutsch gesprochen wurde. Ihre Familie lebte traditionell jüdisch.
Nachdem das Warschauer Ghetto errichtet worden war, wurde die Familie dort zusammen mit Rellis Großvater mütterlicherseits, David, inhaftiert. Relli erzählte: „Außer mir hat niemand aus der Familie meiner Mutter den Holocaust überlebt. Alle sind umgekommen. Auf der Seite meines Vaters ist die Geschichte jedoch anders. Mein Vater war der älteste von fünf Brüdern. Der größte Teil meiner väterlichen Familie wanderte in den 1920er und 1930er Jahren nach Palästina – Erez Israel – aus. Da mein Vater Geschäftsmann war, der die meisten seiner Geschäfte in Danzig machte, blieb er in Polen. Bis 1938 hatte er dort gewohnt. Mein Vater war aber ein großer Freund Israels. Er sorgte dafür, dass seine Familie, die in Erez Israel eingewandert war, finanziell unterstützt wurde. Ab 1939 musste mein Vater im Ghetto Zwangsarbeit verrichten. Aufgrund seiner Erfahrung als Textilkaufmann arbeitete er in einer Fabrik, die deutsche Militäruniformen herstellte. Der Besitzer der Fabrik war ein Mann namens Schultz.
„Leider“, sagte Relli, „erinnere ich mich an fast nichts aus meiner Zeit im Warschauer Ghetto. Ich denke, der Grund dafür ist, dass ich zu klein war oder dass ich eine Art Verdrängungsmechanismus entwickelte habe. Oder vielleicht auch, weil meine Eltern sich sehr bemüht haben, mich zu schützen. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass ich dort irgendeine Gefahr gespürt habe.“
Sie fuhr fort: „Meine Geschichte beginnt im Januar 1943, am Vorabend des Ausbruchs des Aufstands im Warschauer Ghetto, als den Juden klar wurde, dass das Ghetto liquidiert und alle verbliebenen Juden in die Vernichtungslager geschickt werden würden. Wir wussten bereits, was mit denjenigen geschah, die auf die Transporte gebracht wurden: Überall im Ghetto gab es Gerüchte. Da mein Vater in einer für die Nazis wichtigen Fabrik arbeitete, waren meine Eltern sicher, dass sie nicht mit den anderen Juden in die Vernichtungslager deportiert, sondern zusammen mit allen Fabrikarbeitern umgesiedelt werden würden. Das neue Arbeitslager war das Lager Trawniki. Leider wurde am Ende auch dieses Lager liquidiert.
Am 3. November 1943 kam es in Trawniki zu einem Massaker. Alle Fabrikarbeiter und alle andere Personen, die sich im Lager befanden, etwa 10.000 Menschen, darunter auch meine Eltern und mein Großvater, wurden erschossen, in Gruben geworfen und dann verbrannt. Dieses Massaker wurde von Heinrich Himmler als „Aktion Erntefest“ bezeichnet.
Meine Eltern waren sich der drohenden Gefahr bewusst gewesen. Sie hatten damit gerechneten, dass sie mit ziemlicher Sicherheit ermordet werden würden. Ihre größte Sorge galt mir, ihrem einzigen Kind. Wie würden sie es schaffen, mich zu retten?“
Relli erzählte weiter: „Je früher sie handeln würden, desto besser wäre es. Sie waren entschlossen, noch vor dem Umzug in das Lager Trawniki eine Lösung zu finden. An dieser Stelle möchte ich bemerken, dass ich der Meinung bin, dass ich in meinem Leben viel Glück gehabt habe. Das wurde mir damals zum ersten Mal bewusst. In der Nachbarschaft meiner Eltern im Warschauer Ghetto lebte die Familie Meltz. Der Vater der Familie hieß Alexander. Er und seine Frau hatten eine Tochter, die ein Jahr älter war als ich. Alexander war ein jüdischer Kommunist, der vor dem Krieg Mitglied der Kommunistischen Partei gewesen war. Es stellte sich heraus, dass seine polnischen Parteifreunde ihn auch während des Krieges nicht vergaßen. Sie blieben mit ihm in Kontakt, und halfen ihm und seiner Familie mit Hilfe der polnischen Widerstandsbewegung, einen Plan zur Flucht aus dem Ghetto und zum Untertauchen im nichtjüdischen Warschau auszuarbeiten. Ich traf Alexander 1975 in Israel. Er war derjenige, der mir zum ersten Mal die Hintergründe meiner Verbindung zur Familie Abramowitz erklärte.
Die Person, die den Plan ausführen sollte, war ein Pole namens Jozef Abramowitz. Der Plan sah vor, dass Alexander Maltz, nachdem er aus dem Ghetto geschmuggelt worden war, sich in der Werkstatt von Jozef Abramowitz verstecken sollte. Für Alexanders Frau war ein anderen Ort in Warschau als Versteck vorgesehen. Ihr kleines Mädchen dagegen sollte im Wohnhaus von Jozef Abramowitz und seiner Frau Janina versteckt werden. Das Ehepaar Abramowitz hatte keine Kinder und sie planten, das kleine Mädchen notfalls als ihre Tochter auszugeben. Kurz bevor der Plan in die Tat umgesetzt werden konnte, änderten sich die ganzen Umstände. Die Pflegerin, die für Alexander Maltz arbeitete, sagte, sie würde Alexanders Frau und ihre kleine Tochter zu sich nehmen und beide bei sich verstecken. Diese Lösung schien Alexander besser zu sein, weil sich seine Frau sich dann um die Tochter hätte kümmern konnte. Tragischerweise wurden seine Frau, seine Tochter und die Pflegerin in ihrem Versteck verraten und ermordet.
So kam es, dass es dem Ehepaar Abramowitz möglich war, ein anderes kleines Mädchen bei sich zu verstecken. Alexander, der Nachbar und Freund meiner Eltern, erklärte ihnen, dass es eine Möglichkeit gäbe, mich zu retten. Meine Mutter hatte Angst, mit meinem Vater aus dem Ghetto zu fliehen, weil sie meinen Großvater nicht zurücklassen wollte. Mein Großvater war zu alt, um wegzulaufen. Aber sie erkannte, dass dies eine große Chance war, mich zu retten. Nach langen Beratungen mit meinem Vater beschlossen sie, mich Herrn Meltz zu übergeben, der mich aus dem Ghetto forttragen sollte.
An diesem Abend brachten mich meine Eltern zu Bett, damit ich keinen Verdacht schöpfte und nicht weinte. Mitten in der Nacht kam Jozef Abramowitz, steckte mich in einen Sack und brachte mich aus dem Ghetto. Wenn Sie mich fragen, weiß ich bis heute nicht, welche Wege er ins und aus dem Ghetto nahm, aber es ist klar, dass er seine Wege hatte. Er betrat das Ghetto unzählige Male. Manchmal schmuggelte er Waffen für den Aufstand hinein, und es gelang ihm sogar, weitere Juden zu retten und ihnen zur Flucht zu verhelfen. Jozef war einfach ein außergewöhnlicher Mann, ein „Gerechter unter den Völkern“ im wahrsten Sinne des Wortes!
Und so wachte ich eines Morgens auf, drei Jahre alt, und schlief auf drei Stühlen. Die Stühle waren als eine Art Behelfsbett an einen Schrank geschoben worden. Daran erinnere ich mich genau: Das Ehepaar Abramowitz hatte eine Einzimmerwohnung, die so gebaut war, dass ihr Bett im Wohnzimmer stand. Neben dem Bett befand sich ein kleiner Vorhang, der das „Schlafzimmer“ von der Küche trennte. Das Badezimmer befand sich gar nicht im Haus. Wenn man auf die Toilette wollte, musste man ins Treppenhaus hinausgehen. Und weil die Wohnung so klein war, gab es keinen Platz, um ein weiteres Bett aufzustellen. Also schlief ich noch viele Monate lang auf diesen Stühlen. Mein ganzes Leben lang hat mich das zum Nachdenken gebracht, denn das Ehepaar Abramowitz waren Menschen, die keine Mittel hatten und fast nichts besaßen. Umso erstaunlicher war es, dass sie aus diesem Nichts Alles gemacht haben. Sie entschieden sich, von dem, was sie nicht hatten, zu geben. Sie haben mich gerettet, und ich verdanke ihnen mein Leben.
Als ich aufwachte, war ich ein wenig geschockt. Ich sah zwei Fremde neben mir stehen. Sie sagten mir „Guten Morgen“. Ich fragte sie: „Wo sind Mama, Papa und Großvater?“ Und sie antworteten mir: „Deine Mutter, dein Vater und dein Großvater haben dich zu uns bringen lassen, damit wir uns um dich kümmern können.“ In diesem Moment weinte ich nicht und schrie auch nicht, aber ich fragte sie wieder nach meinem Vater und meiner Mutter. Herr Abramowitz nahm mich auf den Arm und machte mir etwas zu essen (ein hartgekochtes Ei; ich erinnere mich noch heute an den Geruch). Und seine Frau Janina sagte mir, dass ich sie von nun an Papa und Mama nennen solle und sie mich Lala ('Puppe' auf Polnisch) nennen würden. Ich wollte nicht mitmachen, aber sie sagten mir, ich müsse es tun. „Es muss unser Geheimnis sein, dass du nicht wirklich unsere Tochter bist, und niemand darf das wissen.“ Sie erklärten mir, dass es eine Art Spiel sei, das wir miteinander spielten, eine Art Vortäuschung, „weil wir keine Kinder haben, wirst du unsere Puppe sein.“
Dann führte mich Frau Abramowitz zum Kleiderschrank und zeigte mir drei außergewöhnliche Pelze, die meine Mutter bei ihr gelassen hatte. Dann sagte sie zu mir: „Du siehst, dass deine Mutter ihre wertvollen Pelze hiergelassen hat und sie wird kommen, um sie abzuholen, also wird sie auch kommen, um dich abzuholen.“ Das hat mich in diesem Moment überzeugt. Das machte für ein vierjähriges Mädchen Sinn. Außer den Pelzen hatte meine Mutter dem Ehepaar Abramowitz auch ein Märchenbuch gegeben, das ich sehr liebte. Jedes Mal, wenn es mir vorgelesen wurde oder ich in diesem Buch blätterte, half es mir, mich zu beruhigen. Natürlich vermisste ich meine Eltern sehr. Ich wünschte mir, sie würden zurückkommen und mich mit nach Hause nehmen. Leider ist das nicht passiert.
Aber ich hatte eine Art Abschied von ihnen. Unmittelbar vor ihrer Deportation in das Lager Trawniki geschah Folgendes: Die Familie Abramowitz wohnte etwas außerhalb des Ghettos in der Krochmalna-Straße 6. Es ist allgemein bekannt, dass 1939 die Straße in Warschau dort geteilt wurde, wo die Ghettomauer sie kreuzte. Am Ende der Straße, innerhalb des Ghettos, befand sich das Waisenhaus von Janusz Korczak. Eines nachts gelang es Herrn Abramowitz, meine Eltern über die Ghettomauer zu schmuggeln. Wie ich bereits erwähnt habe, wollten sie wegen meines Großvaters nicht fliehen. Ich erinnere mich an diese Nacht. Ich wurde geweckt, und plötzlich sah ich drei Gestalten vor mir. Ich erkannte sofort, dass es meine Eltern waren und wollte vor Freude schreien, aber mein Vater gab mir ein Zeichen, still zu sein, und obwohl ich noch klein war, beherrschte ich mich. Meine Mutter setzte sich auf das Bett des Ehepaars Abramowitz und nahm mich auf ihren Schoß. Sie sagte mir, dass sie mich sehr lieb habe. Dann kam mein Vater und nahm mich in seine Arme. Ich erinnere mich, dass ich zu meinem Vater nur sagte: „Papa, wer bringt dir jetzt deine Hausschuhe?“ (Heute weiß ich, dass ich damit eigentlich sagen wollte: „Vermisst du mich nicht? Sieh mal, ich kann nützlich sein. Ich vermisse dich. Nimm mich mit dir zurück!“) Mein Vater legte mich hin und sie brachten mich zurück ins Bett. Am Morgen wachte ich auf und sie waren weg.
Nach dem Krieg, als ich älter wurde, dachte ich viele Jahre lang, dass dies nur ein kindlicher Traum in meinem Gedächtnis war, eine süße Erinnerung, die ich mir einbildete, aber nicht etwas, das wirklich geschehen war. 1984 reiste ich zum ersten Mal mit einer Delegation des Ghetto Fighters' Museum nach Polen. Ich traf mich mit der Schwester von Janina und deren Mann Stefan in Warschau. Zu diesem Zeitpunkt waren Janina und Jozef bereits verstorben. Stefan erzählte mir: „Weißt du, wir haben deine Eltern während des Krieges kennen gelernt. Kurz bevor sie aus dem Warschauer Ghetto deportiert wurden, gelang es Jozef, deine Eltern herauszuschmuggeln und zu sich nach Hause zu bringen, damit sie sich von dir verabschieden konnten.“ Ich antwortete ihm: „Was? Wirklich?“ Dann sagte er mir, dass ich noch sehr klein gewesen sei und mich wahrscheinlich nicht daran erinnern könne. Und dann erzählte ich ihm, was ich meinem Vater über die Pantoffeln gesagt hatte. Er war völlig verblüfft. Er sagte mir, es sei wahr, und er sagte: „Alle, die im Zimmer waren, konnten nicht aufhören zu weinen, nachdem du das gesagt hattest.“ Zu meinem Leidwesen sind meine Eltern nicht mehr zu mir zurückgekommen. Wenigstens wurde mir klar, dass ich mich wirklich von ihnen verabschiedet und mir das nicht eingebildet hatte.
Als ich bei Jozef und Janina wohnte, gab es die Regel, dass ich überhaupt nicht rausgehen und schon gar nicht jemandem die Tür öffnen durfte. Ich schaute immer aus dem Fenster. Ich war so eifersüchtig auf die Kinder, die im Hof spielten, aber ich war ein sehr braves Mädchen und befolgte die Anweisungen. Das Verstecken bei der Familie Abramowitz verlief bis auf vier Ausnahmen recht gut für mich:
Als Janina eines Tages das Haus verließ, schloss sie die Tür ab und warnte mich, dass ich unter keinen Umständen die Tür öffnen dürfe. Ich suchte nach einer Beschäftigung und begann mit gelben Staubtüchern zu spielen. Ich bastelte mir ein Kleid. Die Zeit verging und mir wurde langweilig. Plötzlich sah ich eine Schachtel mit Bonbons. Ich nahm die Schachtel und öffnete zum ersten Mal das Fenster der Wohnung. Die Wohnung von Jozef und Janina lag im Erdgeschoss und war offen zum Hof, wo die Kinder spielten. Ich fragte die Kinder, die draußen spielten: „Wer will Süßigkeiten?“, und warf ihnen ein paar Bonbons zu. Einige Kinder kamen und nahmen sich Süßigkeiten. Eines der Mädchen fragte mich, ob ich auch mit ihnen draußen spielen wolle. Ich antwortete „ja“, und weil ich sehr klein und leicht war, stellte eines der älteren Kinder eine Kiste unter das Fenster und hob mich einfach heraus. Das hat so viel Spaß gemacht! Wir spielten Verstecken und sprangen Seil und so weiter. Während ich draußen spielte, kam Janina nach Hause. Sie hatte solche Angst, als sie mich draußen mit den anderen Kindern spielen sah, aber sie erkannte, dass es für mich sehr gefährlich werden würde, wenn sie mich mit Gewalt ins Haus holen würde. Also kam sie zu mir und sagte, ohne zu schreien: „Schatz, komm ins Haus. Du hast keinen Pullover an und es ist sehr kalt.“ Als wir in der Wohnung waren, erklärte sie mir zum ersten Mal, warum ich nicht rausgehen durfte und wie gefährlich es für mich war, und Gott sei Dank endete die Geschichte auf wundersame Weise, ohne dass jemand die Wahrheit erfuhr.
Der zweite Fall war noch viel beängstigender. Eine Klavierlehrerin wohnte über uns im dritten Stock. Auch sie war eine wunderbare Frau und sie versteckte ebenfalls Juden in ihrem Haus, einen zehnjährigen Jungen und ein sechsjähriges Mädchen. Manchmal gab Janina mir die Erlaubnis und ich ging leise nach oben, um mit ihnen zu spielen. Ich versuchte auch, Klavier zu spielen, aber ich merkte sehr schnell, dass ich dafür kein Talent hatte. Als ich eines Tages die Wohnung der Klavierlehrerin verließ und zu unserer Wohnung zurückging, war es dort sehr still, obwohl ich wusste, dass Janina im Haus war. Als ich eintrat, schloss sich die Tür hinter mir, und plötzlich sah ich Janina gefesselt auf dem Boden liegen, während ein Mann seine Waffe auf sie richtete. Ein anderer Mann war dabei, das Haus auf den Kopf zu stellen, als ob er etwas suchen würde, und der dritte Mann hatte die Tür hinter mir geschlossen. Der Älteste der dreien beobachtete, was vor sich ging. Ich wandte mich an ihn und schrie: „Was tun Sie meiner Mutter an?“ Er fragte mich: „Wer bist du?“ Und ich sagte ihm: „Ich bin Lala“. In diesem Moment hörte ich, wie der verantwortliche Mann zu den anderen sagte: „Wir haben nichts mit Kindern zu tun“. Und sie gingen einfach weg. Bis heute habe ich keine Ahnung, wer sie waren oder was sie wollten. Ich habe nur verstanden, dass es schlechte Menschen waren. Auch Janina hat mir danach nichts erzählt. Aber das, was passiert war, hat mich wirklich erschreckt. Noch am selben Tag gingen Janina und ich zu ihrer Schwester, um uns von diesem Erlebnis zu erholen.
Kurz nach diesem Vorfall ereignete sich das dritte Ereignis. Ich ging weiterhin in die Wohnung der Klavierlehrerin, um mit den Kindern zu spielen, die bei ihr versteckt waren. Mir gefiel es sehr, dass ich endlich Freunde hatte. Wir hatten auch eine Art heimliches Klopfzeichen an der Tür, das ihnen anzeigte, dass ich kam. Eines Tages ging ich wie üblich hoch, um mit ihnen zu spielen, und klopfte wie vereinbart an die Tür, aber niemand antwortete mir. Ich klopfte wieder und wieder, bis ich schließlich die Tür öffnete. Zu meiner Überraschung war sie nicht verschlossen. Als ich eintrat, bot sich mir ein schrecklicher Anblick: Alle lagen tot auf dem Boden. Bis zum heutigen Tag weiß ich nicht, was passiert ist. Ich rannte schnell die Treppe hinunter. Ich erzählte es Janina. Janina nahm mich an diesem Tag mit zu ihrer Schwester und wir sprachen nie wieder darüber.
Aber all dies war nur der Auftakt für das vierte Ereignis, als ich die Gefahr wirklich spürte. Es war im Winter. Ich hatte mir eine Erkältung eingeholt und war sehr krank. Janina beschloss, mit mir zum Arzt zu gehen. Janina hatte keine Angst, mit mir draußen gesehen zu werden, denn ich sah völlig polnisch aus: blond mit blauen Augen. Und so benutzten wir auf dem Weg zur Klinik in die Straßenbahn. Damals war die Straßenbahn in zwei Waggons unterteilt. Der erste Wagen war (gemäß dem „Ariernachweisgesetz“) für Deutsche reserviert. Die Polen durften nur im zweiten Wagen mitfahren. Als die Straßenbahn anhielt, sah ein Nazi-Offizier, der im ersten Wagen saß, Janina mit mir warten. Er wandte sich an Janina und sagte zu ihr: „Was für ein hübsches Mädchen Sie haben. Schade, dass es in der Schlange stehen muss. Geben Sie es mir. Es wird mit mir im Waggon sitzen, und wenn Sie ankommen, gebe ich es Ihnen zurück.“ Janina befand sich in einer sehr schwierigen Situation. Sie konnte nicht nein sagen, denn dann würde der Offizier misstrauisch werden, aber andererseits wusste sie, dass, wenn sie ja sagte, die Gefahr bestand, dass ich etwas erzählen würde, das uns gefährden könnte (ich war noch ziemlich klein). Janina übergab mich dem Offizier, aber ich erinnere mich, dass sie mir vorher noch kräftig die Hand schüttelte, als ob sie mich warnen wollte. Und dann fügte sie hinzu: „Sei ein braves Mädchen. Ich gebe dich dem Offizier nur für die Fahrt, und an der nächsten Haltestelle werde ich dich abholen.“ Janina stieg in den Wagen für Polen ein. Währenddessen saß ich auf dem Schoß des Offiziers. Er war sehr nett und gab mir Schokolade, und beim nächsten Halt – natürlich sind wir aus Angst nicht in die Klinik gefahren – als Janina mich abholte, sagte er ihr, dass ich gut erzogen sei und ihn an seine Tochter erinnere. Als wir gingen, sagte ich Janina, dass ich ihm nichts erzählt hatte.
Nach diesen vier Vorfällen wurde entschieden, dass Janina und ich Warschau verlassen mussten. Die Familie Abramowitz hatte enge Freunde, die ein Herrenhaus in Lublin besaßen. Das Anwesen hieß „Vishnofka“ – „Kirsche“, weil es neben Kirschbäumen stand. Wir gingen tatsächlich dorthin. Das Herrenhaus selbst hatte zwei Stockwerke. Die Besitzer – die Freunde der Abramowitz – wohnten im ersten Stock. Im zweiten Stock befand sich das Hauptquartier der deutschen Armee. Wir wohnten auf dem Dachboden. Es hieß, wir seien aus Warschau geflohen, weil dort harte Kriegsbedingungen herrschten. Wir blieben dort bis zum Frühjahr 1944, als die Russen den Deutschen Polen entrissen.
Janina, die sich große Sorgen um ihren Mann machte, wollte nach Warschau zurückkehren, um zu sehen, wie es ihm ging. Da sie Russisch konnte, bot sie an, als Dolmetscherin für die Rote Armee zu arbeiten. Zunächst wollte sie mich mitnehmen, und so machten wir uns gemeinsam auf den Weg zurück nach Warschau. Aber wegen der schlechten Straßenverhältnisse und weil ich unterwegs krank wurde, ließ sie mich in einem der Dörfer, die wir passierten, zurück. Sie ging einfach in eine der Hütten und bat eine Familie, sich um mich zu kümmern – natürlich gegen Bezahlung, bis sie zurückkam, um mich abzuholen. Die Familie war einverstanden. Es war eine Bauernfamilie: Vater, Mutter und zehn Kinder. Natürlich dachten sie, ich sei Polin. Ich erinnere mich, dass ich sehr gerne mit der Bäuerin zusammensaß und ihr die Geschichten aus meinem Buch erzählte. Das hat ihr sehr gefallen. Während ich bei ihnen war, konnte ich mir mit Hilfe eines der Kinder, das damals in der ersten Klasse war, selber das Lesen beibringen. Ich habe ihm einfach zugehört und von ihm gelernt. Zum Glück lernte ich gut. Die Familie war eine fromme christliche Familie und ich erinnere mich, dass ich sonntags mit ihnen in die Kirche ging. Insgesamt hatte ich dort eine recht angenehme Zeit.
Als der Krieg im Mai 1945 zu Ende ging und Janina und Jozef mich abholten, erzählte ihnen die Bäuerin als Erstes, dass ich während meines Aufenthalts bei ihnen lesen gelernt hatte. Jozef konnte das nicht glauben. Er dachte, ich hätte die Geschichten nur auswendig gelernt, also nahm er eine Zeitung heraus und ließ mich lesen. Ich habe im vorgelesen, und er war sehr erstaunt. Als wir nach Warschau zurückkehrten, beschlossen Janina und Jozef, mich in die Schule zu schicken. Da ich bereits lesen konnte, wurde ich probeweise in die zweite Klasse eingeschult, obwohl ich erst sechs Jahre alt war.
Wie ich eingangs erwähnte, war mein Vater der einzige in seiner Familie, der Polen nicht verlassen hatte. Die ganze Familie meines Vaters war vor dem Krieg nach Erez Israel ausgewandert. Sie wussten nichts von dem, was in Europa geschah. Im Oktober 1945 kam einer der Flüchtlinge in Eretz Israel an, und als er einmal mit seinem Freund in einem Kaffeehaus ("Atara“, in Tel Aviv) saß, sprachen sie ziemlich laut über das, was während des Krieges passiert war. Plötzlich, mitten im Gespräch, wandte sich der Flüchtling an seinen Freund und sagte ihm, dass er die Familie Glovinsky finden müsse. Und er erzählte seinem Freund von mir und meiner Situation und dass ich in Warschau bei der Familie Abramowitz leben würde, die mich gerettet hätte, dass es aber Zeit für mich sei, zu meiner eigenen Familie zurückzukehren. Sein Freund sagte ihm, dass er die Familie nicht kenne, aber wenn man sich in einem Café unterhält, hört natürlich jeder zu. Plötzlich berührte jemand den Flüchtling an der Schulter und sagte ihm: „Entschuldigung, ich habe Ihr Gespräch mitgehört. Die Person, die Sie suchen, Haim Glovinsky, ist ein sehr enger Freund von mir.“ So erfuhr mein Onkel, dass ich am Leben war und dass er mich nach Israel holen sollte. Aber wie konnte das geschehen?
Janina und Jozef versuchten ebenfalls, meine Familie in Erez Israel ausfindig zu machen, um ihnen zu sagen, dass ich noch lebe, und sie schrieben einen Brief an meinen Onkel Haim Glovinsky, in dem sie ihm von mir berichteten. Mein Onkel Haim war eine ziemlich berühmte Person in Tel Aviv, einer der Gründer des Fußballverbands, und so erfuhr er tatsächlich aus zwei verschiedenen Quellen gleichzeitig, dass ich am Leben war. Mein Onkel bat die „Koordinierungsorganisation“ in Lodz, mich nach Erez Israel zu bringen, aber es gab einen Haken: Die Familie Abramowitz antwortete und bat um Geld für „meine Freilassung“. Ich glaube, das lag daran, dass sie sich daran gewöhnt hatten, eine Tochter zu haben, und mich nicht aufgeben wollten. Außerdem stellte sich das polnische Gericht auf die Seite der Familie Abramowitz und stellte mich rechtlich unter ihrer Obhut. Die Koordinierungsorganisation kontaktierte meinen Onkel und meinte, dass die einzige Chance, mich frei zu bekommen, darin bestünde, dass er selbst nach Polen käme und versuchte, meinen Fall vor Gericht zu vertreten.
Damals reiste mein Onkel Haim mit HaPoel Tel Aviv im Rahmen eines Freundschaftsspiels in die Vereinigten Staaten. Während seines Aufenthalts in den USA gelang es ihm, ein Visum für Polen zu bekommen. Aber auch dieser Versuch war nicht erfolgreich, und ich blieb in Polen und wuchs dort auf. Im Sommer 1949 starb meine Stiefmutter Janina plötzlich. Sie war zu Hause gestürzt und hatte dabei eine Hirnblutung erlitten. Jozef heiratete schnell wieder. Seine zweite Frau wollte ihn unbedingt heiraten, stellte aber eine Bedingung: Sie wollte mich, dieses „jüdische Mädchen“, nicht großziehen. Jozef beschloss, seine geräumige Wohnung an eine polnische Familie zu vermieten, um ein zusätzliches Einkommen zu erzielen, und wir zogen in eine kleine Wohnung. Ich durfte nur nachts in der Wohnung schlafen. Sie stellten mein Bett in den Flur. Die neue Frau meldete mich in einer kommunistischen Schule an, einer schrecklichen Schule mit einem langen Schultag. Ich konnte am Ende des Tages nirgendwo hin zurückkehren und irrte durch die Straßen. Ab und zu ging ich zu Janinas Schwester. Spät in der Nacht kam ich nach Hause, nur um zu schlafen. Ich war eine Art verlassenes Mädchen.
Glücklicherweise änderte sich 1949 alles, als eine Frau aus Haifa – Tzipora Nesher – vom israelischen Außenministerium eingestellt wurde, um in der israelischen Botschaft in Warschau zu arbeiten. Tzipora kannte meine Tante, und sie erfuhr von meiner Situation in Polen. Sie sagte, sie würde den Fall als ihr persönliches Projekt übernehmen, und das tat sie auch, als sie ihre Stelle in Warschau antrat. Mit großer Unterstützung des israelischen Botschafters Israel Barzilai, nach sehr langen Verhandlungen und einem Prozess (weil ich nach polnischem Recht ein Adoptivkind war) gelang es ihnen, mich nach Israel zu holen. Der Prozess dauerte etwa ein Jahr, und so kam ich im Oktober 1950 in Israel an. In Israel wuchs ich in Pardess Hanna auf. Meine Tante Rita und ihr Mann Abraham Robinson adoptierten mich. Ich ging in die sechste Klasse und besuchte später die Green Village Agricultural High School. Abraham Robinson war einer von sieben Brüdern. Einer seiner Brüder, Professor Nathan Robinson (der Mann, der den Solarboiler erfunden hat), sollte mein Schwiegervater werden. Ich heiratete seinen Sohn David im Jahr 1962. David ist 2011 gestorben. Wir haben zwei Kinder, Michal und Nativ, und sechs Enkelkinder.“